Mit Risiko und Einsatz zum Erfolg
Auf einer Sotheby’s Auktion 1974 bot mir die Schweizer Galeristin Georges Marci de Saqqarah das Bild „Passage“ von Jasper Johns aus dem Jahre 1962 für 100.000,- DM an. Ich flog daraufhin nach Gstaad, um mir die Arbeit im Original anzusehen und kaufte das Bild. Vereinbart wurde sofortige Zahlung bei Nachweis der Übergabe des Bildes an einen Spediteur. Schon wenige Tage später bekam mein Kölner Spediteur die Nachricht, dass besagtes Gemälde durch eine Schweizer Firma auf den Weg gebracht worden sei. Daraufhin gab ich meiner Bank den Auftrag, den vereinbarten Betrag zur Barauszahlung an einen von Frau Saqqarah angegebenen Empfänger in einer Bank in Gstaad anzuweisen. Doch am Tag der Auszahlung stellte ein Zollbeamter am Frankfurter Flughafen fest, dass die angekündigte Bilderkiste ohne Inhalt abgeschickt worden war. Mein sofortiger Anruf bei der Galeristin, blieb zunächst ergebnislos, da Frau Saqqarah angeblich nach Tokio verreist war. Glücklicherweise rief ich gerade noch rechtzeitig bei der Bank an, um den Betrag vorerst nicht auszahlen zu lassen. Schon kurz darauf rief mich Frau Saqqarah aus Gstaad an und verlangte Aufklärung, warum der Betrag nicht ausgezahlt worden sei. Sie tat überrascht und versprach, den Vorfall aufzuklären und wir vereinbarten, dass die Zahlung nun erst erfolgen sollte, nachdem ein Spediteur unseres Vertrauens das Bild in Empfang genommen hätte. Was auch immer die Intention dieses obskuren Vorgangs gewesen sein mag, bleibt der Fantasie des Lesers überlassen. In jedem Fall erhielt ich nach diesem aufregenden Vorspiel das gewünschte Bild. Leider hatte ich für ein so teures Bild nur einen einzigen Kunden: Peter Ludwig, der sich in der Tat auch dafür interessierte, jedoch nicht mehr als meinen Einkaufspreis bezahlen wollte. Diese Pattsituation zog sich über mehrere Monate hin. Peter Ludwig wollte immer wieder das Bild sehen, war aber nicht bereit, den geforderten Preis zu zahlen, wohl wissend, dass ich keinen anderen Kunden hatte. In dieser Situation beschloss ich, das Bild allein auf einer Staffelei zu präsentieren und als Ausstellung anzukündigen, um darüber vor geladenen Gästen einen Vortrag zu halten. Peter Ludwig erschien eine viertel Stunde vor Vortragsbeginn und bot erneut den Einkaufspreis von 100.000,- DM. Ich erklärte ihm darauf, dass mein Preis von 120.000,- DM nur noch bis zu Beginn des Vortrages gültig sei und danach auf 150.000,- hochgesetzt würde, weil dann die Bedeutung und somit der Wert des Bildes für jedermann verständlich würde. Die Galerieräume füllten sich. Wolfgang Hahn und auch andere Sammler erschienen. In dem Moment, als ich die Gäste begrüßte und mit meinen Ausführungen beginnen wollte, trat Peter Ludwig an meine Seite und flüsterte mir zu, dass er meinen Preis von 120.000,- DM akzeptiere.
Das Bild ist in Enkaustik-Technik, mit Ölfarbe, verschiedenen Objekten und collagierten Elementen auf drei Leinwänden hergestellt. Jasper Johns hat diese drei querformatigen Leinwände zu einem hochformatigen Bild übereinander verschraubt. Schon der Titel lässt Fragen zu. „Passage“ kann die Passage im Sinne eines Durchgangs bezeichnen, also des Übergangs von einer Farbe zu einer anderen oder aber im Sinne einer Technik, der so genannten Passage-Technik, einer Übermalung in mehreren Schichten, was hier zweifelsfrei auch der Fall ist. Jede der drei Leinwände ist mit einem Wort bezeichnet: „Red“, „Yellow“, „Blue“. Das Wort „Blue“ erscheint ein zweites Mal in kleineren Typen. Die drei Grundfarben führen über die Mischfarben Grün-Orange zu Violett, welches als Ende der Farbskala passender Weise unten rechts im Bild wieder auftaucht.
Obwohl die drei Flächen nur Spuren der Grundfarben aufweisen, zeigen auch die Worte nicht die Farben, die sie bezeichnen, sondern bereits Mischfarben im Übergang von einer Farbe zur nächsten: Passage. Das Wort „Red“ erscheint in gebrochenen Farben aus Rot und Gelb, das Wort „Yellow“ in grünen und grauen Stufungen, die Farbe Gelb scheint nur punktuell durch. Hingegen erscheint im unteren Feld des Bildes das Wort „Blue“ eindeutig in Kobaltblau in komplementärer Spannung zum Gelb am äußersten rechten Rande. Dieser Kontrast ist ein notwendiger Akzent und alles andere als zufällig. Durch die schablonierte Schrift erzeugt Jasper Johns eine vermeintliche Objektivität der Information, die er jedoch durch die malerische Ausführung und die farblichen Widersprüche aufhebt und in Frage stellt. Es stellt sich die Frage, ob es Jasper Johns mehr um ein formales Bildelement oder eine inhaltliche Problematik geht, wenn das Wort etwas anderes bezeichnet als sich selbst. Damit sind die drei Grundfarben und ihre Mischformen nicht nur malerische Mittel, sondern werden selbst zum eigentlichen Thema des Bildes erhoben.
Der Dreiklang Rot-Gelb-Blau ist das Thema zahlreicher Bilder des 20. Jahrhunderts, insbesondere bei Piet Mondrian und Barnett Newman, aber auch bei Jasper Johns. Die Enkaustiktechnik verlangt ein schnelles Malen, da die mit Wachs gebundenen Pigmente rasch erkalten, was jedoch ein sofortiges Übermalen mit Ölfarbe ermöglicht. Zum Auftragen der Wachsfarben, oft auf Zeitungspapier, benutzt Jasper Johns ein Bügeleisen, mit dem das Zeitungspapier auf die Leinwand geplättet wird. Wie als Hinweis auf dieses Verfahren erscheint im oberen Drittel des Bildes der Abdruck eines Bügeleisens, das mit dem Wort „Iron“ deutlich als solches markiert wird. Außerdem ist im oberen Drittel des Bildes eine Aluminiumgabel mit Hilfe einer Kette und eines Drahtes horizontal über das Bild gespannt und darüber ein Segment eines Zollstocks montiert. Im unteren Drittel sind noch ein Fensterbriefumschlag und ein quadratisches Stück Stoff auf die Leinwand geklebt und übermalt. Warum verwendet Johns diese Objekte, die die Einheit des gemalten Bildes zu stören scheinen? Jasper Johns erweitert mit diesen Objekten die bildnerischen Möglichkeiten, um die Wirklichkeit in ihren verschieden Repräsentationsformen darzustellen.
Jasper Johns trennt und verbindet die Flächen mit verschiedenen Mitteln. Im oberen Drittel links unterstreichen die Kette und ihr gemalter Schatten sowie die Unterseite des Kreissegments die vorgegebene Trennlinie der oberen beiden Leinwände. Im rechten Teil des Bildes verschwindet die Nahtstelle zwischen den Leinwänden durch eine einheitliche Farbgebung. Trennen und Verbinden bilden ebenso einen Gegensatz wie der Widerspruch zwischen Bezeichnung und seiner Erscheinung. Auch der Draht ist in diesem Teil des Bildes durch die Übermalung nahezu unsichtbar. Die Vehemenz des Pinselduktus in der Tradition des amerikanischen Expressionismus sowie die durchgehende Modulation in Grau und Schwarz verbindet die zwei oberen Hälften zur Einheit und greift über die dritte Leinwand, unterstützt von der grau-orangefarbenen Vertikale. Wie sehr Jasper Johns die Malmittel und den Malvorgang zum eigentlich Thema macht, zeigt der Zollstock, mit dem er ein Kreissegment aus der noch feuchten Farbe herausgekratzt hat und diesen Prozess im Kreissegment auch sogleich mit dem Wort „Scrape“ bezeichnet. Der Umriss des Bügeleisens zeigt auf dieses Kreissegment wie ein Zeiger. Das mit dem Wort „Ruler“ korrekt beschriftete Zollstocksegment wird jedoch funktionswidrig benutzt, nicht um eine Strecke zu messen, sondern um eine Fläche zu umschreiben, quasi als Zirkel. „A false true value“ – im Sinne von Wittgenstein ist Falsch oder Wahr nur eine Frage der Bezugsebene. Weder das Objekt, noch das Abbild, noch die sprachliche Bezeichnung ist mit dem Ding-an-sich identisch, sondern steht in einer bestimmten Beziehung zu diesem. Nur der Künstler kann alle Möglichkeiten der Repräsentation gleichzeitig in seinem Werk vereinen.
Im Abdruck des Bügeleisens steht die Bezeichnung „Iron“. Ergeben nun der Abdruck und die Bezeichnung eines Objektes schon die Vorstellung desselben? Warum wird der offensichtliche Umriss eines Bügeleisens auch noch benannt? Es geht auch hier wieder um das Verhältnis des Objektes zu seinem Abbild, die Relativität der Erfahrung, durch die alles mehrdeutig bleibt. Jasper Johns vereint vier denkbare Möglichkeiten der Repräsentation in seinem Bild: Einmal ist es nur das Objekt, z.B. die Kleiderhaken, dann wieder das Objekt mit seiner Bezeichnung wie „Ruler“ oder „Envelope“ oder „Iron“ und schließlich die Gabel als Objekt, als Abdruck, als Schatten und als seine sprachliche Bezeichnung „Fork“. Magritte ging noch einen Schritt weiter, indem er das gemalte Objekt mit einer anderen Bezeichnung versah.
Die Gabel ist zwischen Kette und Draht gespannt. Jasper Johns interessieren die materielle Spannung zweier Metalle, das Eisen der Kette und das Aluminium der Gabel. Die unterschiedliche Spannung von Materialien ist ein im Werk von Jasper Johns wiederkehrendes Motiv, wie übrigens auch bei Joseph Beuys. Es geht Jasper Johns nicht darum, die Gabel in ihrer Funktion zu entwerten, sondern vielmehr darum, das adäquate Element diesem Bilde einzufügen, also in erster Linie eine schwebend metallische Form und Farbe. Außerdem ist die Gabel eine Linie, die sich in mehreren Linien, den Gabelzinken, auflöst und transparent die Verbindung zur Fläche aufnimmt. Diese Wirkung würde in keiner Weise durch eine gemalte Gabel - und wäre sie auch noch so realistisch wiedergegeben - erreicht, da Räumlichkeit und Leichtigkeit entfallen würden. Im Übrigen wird der eigene Farbwert der Gabel durch Farbspritzer verändert, wie auch beim Zollstock, wo das in Rot erscheinende Wort „Charleston“ teilweise grau übermalt worden ist, analog der roten Fläche gleich daneben. Für Jasper Johns wird das Objekt oder die Leinwand zum gleichwertigen Malgrund. Der ständig wechselnde Schatten der Kette und der Gabel verändert das Bild permanent und steht im Gegensatz zum statischen Bildaufbau. Die hier entstandene räumliche Illusion ist nicht die Illusion eines dreidimensional erscheinenden gemalten Abbildes. So mehrdeutig die Objekte bei Jasper Johns bleiben, so bestimmt sind ihre Funktionen im Bilde. Während das Objekt von Marcel Duchamp zum autonomen Kunstwerk selbst erklärt wurde, wird es von Jasper Johns in der Tradition der kubistischen Collage in das Kunstwerk eingebunden. Die in das Kunstwerk integrierten Objekte sind jedoch nicht im Sinne der surrealistischen „objets trouvés“ zufällig, sondern stehen vielmehr in einem bestimmten formalen, inhaltlichen oder medialen Sinnzusammenhang. Das Zollstocksegment bildet die Grundlinie eines Viertelkreises und suggeriert als Abschluss einer malerischen Bewegung auch eine zeitliche Dimension. Das Wort „Ruler“ steht lesbar auf dem Holz, so dass durch die Bezeichnung die Frage entsteht, ob es sich tatsächlich um einen Zollstock handelt, oder um ein sichtbares Zeichen unseres Verhältnisses zur Zahl, zum Messbaren und damit Erfahrbaren oder nur um den [?] Gegensatz einer bestimmten Maßeinheit im nicht messbaren Bildraum. Wesentlich ist sicherlich, dass man den Viertelkreis über die Begrenzung des Bildes hinaus gedanklich zum Halbkreis oder ganzen Kreis ergänzen kann und dass damit ein aktiver Sehvorgang des Betrachters ausgelöst wird. Die beiden Pfeile rechts und links des Wortes „Scrape“ suggerieren geradezu die Möglichkeit, das Zollstocksegment rotieren zu lassen: der Zollstock als ein statisches Bewegungspotential. Kein Detail ist im Werk von Jasper Johns zufällig, wiewohl es auch intuitiv entstanden sein mag. Viele seiner Bilder zeigen einen Zollstock als messbare Grundlinie zum Kreis oder Halbkreis und bildnerisches Ordnungsprinzip im rechtwinkligen oder quadratischen Rahmen kontrapunktisch zur lebhaft gemalten und nicht objektivierbaren Oberfläche. Nicht nur die Künstler der Pop Art, wie Claes Oldenbourg oder Jim Dine, sondern auch Künstler einer völlig anderen Richtung, der so genannten Hardedge Malerei, wie Frank Stella und Kenneth Noland, fußen mit ihren Werken auf Jasper Johns, der in seinen Bildern sowohl den Objektcharakter als auch die konstruktiven und expressiv malerischen Elemente vereint.
Ein weiteres Objekt, fast unsichtbar, ist der mit dem Wort „Envelope“ beschriftete Briefumschlag. Auch hier erscheint die Bezeichnung, wie bei Kosuth, um die Eindeutigkeit einer Bezeichnung in Frage zu stellen und eine Mehrdeutigkeit zu erzeugen. Ein Umschlag enthält im Allgemeinen eine Mitteilung, die abgeschickt wird. Hier im Bilde jedoch fixiert, erlaubt der Umschlag nur einen Blick durch das Fenster ins Bild. Der Blick ins Bild oder das Fenster im Bild sind nicht mehr, wie im vorigen Jahrhundert, als Fenster zur illusionistisch gemalten Realität, sondern hier als Fenster zur Malerei im Bild zu verstehen. Auf dem Umschlag selbst sind in verschiedenen Farben in Buntstift die Zahlen Null bis Neun übereinander gezeichnet. Jede Zahl hat eine andere Farbe wie bei Digitaluhren, bei denen die jeweiligen Zahlenkombinationen aufleuchten. Auch hier wiederum ist die Zahl, genauer gesagt sind alle Zahlen in einem Zeichen verschlüsselt mit der implizierten Möglichkeit, alle Zahlenkombinationen daraus entstehen zu lassen. Weitere Mitteilungen auf dem Briefumschlag wurden nahezu unleserlich gemacht, so dass man nur noch den Poststempel NYC erkennen kann.
Es entsteht ein ständiger Wechsel aller nur denkbaren bildnerischen Möglichkeiten, die sich immer wieder zu Gegensätzen – gedanklichen wie bildnerischen – zuspitzen. So sind auch die drei Worte in ihrer Statik als Gegensatz zu den sie umgebenden lebhaften Farbflächen aufzufassen. Die Graustufungen bis zum Schwarz hin bilden die Basis für die in Spannung gesetzten Akkorde Rot – Gelb – Blau, Orange – Grün – Violett. Ich bin sicher, mich keiner Übertreibung hinzugeben, wenn ich behaupte, dass kein lebender Künstler diese bildnerischen Möglichkeiten so virtuos behandelt wie Jasper Johns. Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass ganz unten links im Bilde die grundierte weiße Leinwand sichtbar wird, als größte Tiefe und Helligkeit und im Gegensatz dazu rechts das applizierte violette Tuch als Endpunkt der Farbskala.
Die Passage zwischen Flächigkeit und Raumtiefe, zwischen der statischen Bildkonstruktion und der dynamischen Malweise, den benannten Grundfarben und den verwendeten Mischfarben, den Gegenständen in ihren unterschiedlichen Repräsentationsformen, sie alle sind Übergange, die gegensätzliche Spannungen aufbauen. Aber erst jenseits dieser ebenso gedanklichen wie intuitiven Konstruktionsprinzipien, die ich hier versucht habe zu beschreiben, beginnt der eigentliche ästhetische Genuss.
Dem Ehepaar Ludwig ist es zu verdanken, dass das Bild zusammen mit dem hier zum ersten Mal publizierten Vortrag in das Museum Ludwig gelangt ist.
Mit Risiko und Einsatz zum Erfolg
2006
Auf einer Sotheby’s Auktion 1974 bot mir die Schweizer Galeristin Georges Marci de Saqqarah das Bild „Passage“ von Jasper Johns aus dem Jahre 1962 für 100.000,- DM an. Ich flog daraufhin nach Gstaad, um mir die Arbeit im Original anzusehen und kaufte das Bild. Vereinbart wurde sofortige Zahlung bei Nachweis der Übergabe des Bildes an einen Spediteur. Schon wenige Tage später bekam mein Kölner Spediteur die Nachricht, dass besagtes Gemälde durch eine Schweizer Firma auf den Weg gebracht worden sei. Daraufhin gab ich meiner Bank den Auftrag, den vereinbarten Betrag zur Barauszahlung an einen von Frau Saqqarah angegebenen Empfänger in einer Bank in Gstaad anzuweisen. Doch am Tag der Auszahlung stellte ein Zollbeamter am Frankfurter Flughafen fest, dass die angekündigte Bilderkiste ohne Inhalt abgeschickt worden war. Mein sofortiger Anruf bei der Galeristin, blieb zunächst ergebnislos, da Frau Saqqarah angeblich nach Tokio verreist war. Glücklicherweise rief ich gerade noch rechtzeitig bei der Bank an, um den Betrag vorerst nicht auszahlen zu lassen. Schon kurz darauf rief mich Frau Saqqarah aus Gstaad an und verlangte Aufklärung, warum der Betrag nicht ausgezahlt worden sei. Sie tat überrascht und versprach, den Vorfall aufzuklären und wir vereinbarten, dass die Zahlung nun erst erfolgen sollte, nachdem ein Spediteur unseres Vertrauens das Bild in Empfang genommen hätte. Was auch immer die Intention dieses obskuren Vorgangs gewesen sein mag, bleibt der Fantasie des Lesers überlassen. In jedem Fall erhielt ich nach diesem aufregenden Vorspiel das gewünschte Bild. Leider hatte ich für ein so teures Bild nur einen einzigen Kunden: Peter Ludwig, der sich in der Tat auch dafür interessierte, jedoch nicht mehr als meinen Einkaufspreis bezahlen wollte. Diese Pattsituation zog sich über mehrere Monate hin. Peter Ludwig wollte immer wieder das Bild sehen, war aber nicht bereit, den geforderten Preis zu zahlen, wohl wissend, dass ich keinen anderen Kunden hatte. In dieser Situation beschloss ich, das Bild allein auf einer Staffelei zu präsentieren und als Ausstellung anzukündigen, um darüber vor geladenen Gästen einen Vortrag zu halten. Peter Ludwig erschien eine viertel Stunde vor Vortragsbeginn und bot erneut den Einkaufspreis von 100.000,- DM. Ich erklärte ihm darauf, dass mein Preis von 120.000,- DM nur noch bis zu Beginn des Vortrages gültig sei und danach auf 150.000,- hochgesetzt würde, weil dann die Bedeutung und somit der Wert des Bildes für jedermann verständlich würde. Die Galerieräume füllten sich. Wolfgang Hahn und auch andere Sammler erschienen. In dem Moment, als ich die Gäste begrüßte und mit meinen Ausführungen beginnen wollte, trat Peter Ludwig an meine Seite und flüsterte mir zu, dass er meinen Preis von 120.000,- DM akzeptiere.
Das Bild ist in Enkaustik-Technik, mit Ölfarbe, verschiedenen Objekten und collagierten Elementen auf drei Leinwänden hergestellt. Jasper Johns hat diese drei querformatigen Leinwände zu einem hochformatigen Bild übereinander verschraubt. Schon der Titel lässt Fragen zu. „Passage“ kann die Passage im Sinne eines Durchgangs bezeichnen, also des Übergangs von einer Farbe zu einer anderen oder aber im Sinne einer Technik, der so genannten Passage-Technik, einer Übermalung in mehreren Schichten, was hier zweifelsfrei auch der Fall ist. Jede der drei Leinwände ist mit einem Wort bezeichnet: „Red“, „Yellow“, „Blue“. Das Wort „Blue“ erscheint ein zweites Mal in kleineren Typen. Die drei Grundfarben führen über die Mischfarben Grün-Orange zu Violett, welches als Ende der Farbskala passender Weise unten rechts im Bild wieder auftaucht.
Obwohl die drei Flächen nur Spuren der Grundfarben aufweisen, zeigen auch die Worte nicht die Farben, die sie bezeichnen, sondern bereits Mischfarben im Übergang von einer Farbe zur nächsten: Passage. Das Wort „Red“ erscheint in gebrochenen Farben aus Rot und Gelb, das Wort „Yellow“ in grünen und grauen Stufungen, die Farbe Gelb scheint nur punktuell durch. Hingegen erscheint im unteren Feld des Bildes das Wort „Blue“ eindeutig in Kobaltblau in komplementärer Spannung zum Gelb am äußersten rechten Rande. Dieser Kontrast ist ein notwendiger Akzent und alles andere als zufällig. Durch die schablonierte Schrift erzeugt Jasper Johns eine vermeintliche Objektivität der Information, die er jedoch durch die malerische Ausführung und die farblichen Widersprüche aufhebt und in Frage stellt. Es stellt sich die Frage, ob es Jasper Johns mehr um ein formales Bildelement oder eine inhaltliche Problematik geht, wenn das Wort etwas anderes bezeichnet als sich selbst. Damit sind die drei Grundfarben und ihre Mischformen nicht nur malerische Mittel, sondern werden selbst zum eigentlichen Thema des Bildes erhoben.
Der Dreiklang Rot-Gelb-Blau ist das Thema zahlreicher Bilder des 20. Jahrhunderts, insbesondere bei Piet Mondrian und Barnett Newman, aber auch bei Jasper Johns. Die Enkaustiktechnik verlangt ein schnelles Malen, da die mit Wachs gebundenen Pigmente rasch erkalten, was jedoch ein sofortiges Übermalen mit Ölfarbe ermöglicht. Zum Auftragen der Wachsfarben, oft auf Zeitungspapier, benutzt Jasper Johns ein Bügeleisen, mit dem das Zeitungspapier auf die Leinwand geplättet wird. Wie als Hinweis auf dieses Verfahren erscheint im oberen Drittel des Bildes der Abdruck eines Bügeleisens, das mit dem Wort „Iron“ deutlich als solches markiert wird. Außerdem ist im oberen Drittel des Bildes eine Aluminiumgabel mit Hilfe einer Kette und eines Drahtes horizontal über das Bild gespannt und darüber ein Segment eines Zollstocks montiert. Im unteren Drittel sind noch ein Fensterbriefumschlag und ein quadratisches Stück Stoff auf die Leinwand geklebt und übermalt. Warum verwendet Johns diese Objekte, die die Einheit des gemalten Bildes zu stören scheinen? Jasper Johns erweitert mit diesen Objekten die bildnerischen Möglichkeiten, um die Wirklichkeit in ihren verschieden Repräsentationsformen darzustellen.
Jasper Johns trennt und verbindet die Flächen mit verschiedenen Mitteln. Im oberen Drittel links unterstreichen die Kette und ihr gemalter Schatten sowie die Unterseite des Kreissegments die vorgegebene Trennlinie der oberen beiden Leinwände. Im rechten Teil des Bildes verschwindet die Nahtstelle zwischen den Leinwänden durch eine einheitliche Farbgebung. Trennen und Verbinden bilden ebenso einen Gegensatz wie der Widerspruch zwischen Bezeichnung und seiner Erscheinung. Auch der Draht ist in diesem Teil des Bildes durch die Übermalung nahezu unsichtbar. Die Vehemenz des Pinselduktus in der Tradition des amerikanischen Expressionismus sowie die durchgehende Modulation in Grau und Schwarz verbindet die zwei oberen Hälften zur Einheit und greift über die dritte Leinwand, unterstützt von der grau-orangefarbenen Vertikale. Wie sehr Jasper Johns die Malmittel und den Malvorgang zum eigentlich Thema macht, zeigt der Zollstock, mit dem er ein Kreissegment aus der noch feuchten Farbe herausgekratzt hat und diesen Prozess im Kreissegment auch sogleich mit dem Wort „Scrape“ bezeichnet. Der Umriss des Bügeleisens zeigt auf dieses Kreissegment wie ein Zeiger. Das mit dem Wort „Ruler“ korrekt beschriftete Zollstocksegment wird jedoch funktionswidrig benutzt, nicht um eine Strecke zu messen, sondern um eine Fläche zu umschreiben, quasi als Zirkel. „A false true value“ – im Sinne von Wittgenstein ist Falsch oder Wahr nur eine Frage der Bezugsebene. Weder das Objekt, noch das Abbild, noch die sprachliche Bezeichnung ist mit dem Ding-an-sich identisch, sondern steht in einer bestimmten Beziehung zu diesem. Nur der Künstler kann alle Möglichkeiten der Repräsentation gleichzeitig in seinem Werk vereinen.
Im Abdruck des Bügeleisens steht die Bezeichnung „Iron“. Ergeben nun der Abdruck und die Bezeichnung eines Objektes schon die Vorstellung desselben? Warum wird der offensichtliche Umriss eines Bügeleisens auch noch benannt? Es geht auch hier wieder um das Verhältnis des Objektes zu seinem Abbild, die Relativität der Erfahrung, durch die alles mehrdeutig bleibt. Jasper Johns vereint vier denkbare Möglichkeiten der Repräsentation in seinem Bild: Einmal ist es nur das Objekt, z.B. die Kleiderhaken, dann wieder das Objekt mit seiner Bezeichnung wie „Ruler“ oder „Envelope“ oder „Iron“ und schließlich die Gabel als Objekt, als Abdruck, als Schatten und als seine sprachliche Bezeichnung „Fork“. Magritte ging noch einen Schritt weiter, indem er das gemalte Objekt mit einer anderen Bezeichnung versah.
Die Gabel ist zwischen Kette und Draht gespannt. Jasper Johns interessieren die materielle Spannung zweier Metalle, das Eisen der Kette und das Aluminium der Gabel. Die unterschiedliche Spannung von Materialien ist ein im Werk von Jasper Johns wiederkehrendes Motiv, wie übrigens auch bei Joseph Beuys. Es geht Jasper Johns nicht darum, die Gabel in ihrer Funktion zu entwerten, sondern vielmehr darum, das adäquate Element diesem Bilde einzufügen, also in erster Linie eine schwebend metallische Form und Farbe. Außerdem ist die Gabel eine Linie, die sich in mehreren Linien, den Gabelzinken, auflöst und transparent die Verbindung zur Fläche aufnimmt. Diese Wirkung würde in keiner Weise durch eine gemalte Gabel - und wäre sie auch noch so realistisch wiedergegeben - erreicht, da Räumlichkeit und Leichtigkeit entfallen würden. Im Übrigen wird der eigene Farbwert der Gabel durch Farbspritzer verändert, wie auch beim Zollstock, wo das in Rot erscheinende Wort „Charleston“ teilweise grau übermalt worden ist, analog der roten Fläche gleich daneben. Für Jasper Johns wird das Objekt oder die Leinwand zum gleichwertigen Malgrund. Der ständig wechselnde Schatten der Kette und der Gabel verändert das Bild permanent und steht im Gegensatz zum statischen Bildaufbau. Die hier entstandene räumliche Illusion ist nicht die Illusion eines dreidimensional erscheinenden gemalten Abbildes. So mehrdeutig die Objekte bei Jasper Johns bleiben, so bestimmt sind ihre Funktionen im Bilde. Während das Objekt von Marcel Duchamp zum autonomen Kunstwerk selbst erklärt wurde, wird es von Jasper Johns in der Tradition der kubistischen Collage in das Kunstwerk eingebunden. Die in das Kunstwerk integrierten Objekte sind jedoch nicht im Sinne der surrealistischen „objets trouvés“ zufällig, sondern stehen vielmehr in einem bestimmten formalen, inhaltlichen oder medialen Sinnzusammenhang. Das Zollstocksegment bildet die Grundlinie eines Viertelkreises und suggeriert als Abschluss einer malerischen Bewegung auch eine zeitliche Dimension. Das Wort „Ruler“ steht lesbar auf dem Holz, so dass durch die Bezeichnung die Frage entsteht, ob es sich tatsächlich um einen Zollstock handelt, oder um ein sichtbares Zeichen unseres Verhältnisses zur Zahl, zum Messbaren und damit Erfahrbaren oder nur um den [?] Gegensatz einer bestimmten Maßeinheit im nicht messbaren Bildraum. Wesentlich ist sicherlich, dass man den Viertelkreis über die Begrenzung des Bildes hinaus gedanklich zum Halbkreis oder ganzen Kreis ergänzen kann und dass damit ein aktiver Sehvorgang des Betrachters ausgelöst wird. Die beiden Pfeile rechts und links des Wortes „Scrape“ suggerieren geradezu die Möglichkeit, das Zollstocksegment rotieren zu lassen: der Zollstock als ein statisches Bewegungspotential. Kein Detail ist im Werk von Jasper Johns zufällig, wiewohl es auch intuitiv entstanden sein mag. Viele seiner Bilder zeigen einen Zollstock als messbare Grundlinie zum Kreis oder Halbkreis und bildnerisches Ordnungsprinzip im rechtwinkligen oder quadratischen Rahmen kontrapunktisch zur lebhaft gemalten und nicht objektivierbaren Oberfläche. Nicht nur die Künstler der Pop Art, wie Claes Oldenbourg oder Jim Dine, sondern auch Künstler einer völlig anderen Richtung, der so genannten Hardedge Malerei, wie Frank Stella und Kenneth Noland, fußen mit ihren Werken auf Jasper Johns, der in seinen Bildern sowohl den Objektcharakter als auch die konstruktiven und expressiv malerischen Elemente vereint.
Ein weiteres Objekt, fast unsichtbar, ist der mit dem Wort „Envelope“ beschriftete Briefumschlag. Auch hier erscheint die Bezeichnung, wie bei Kosuth, um die Eindeutigkeit einer Bezeichnung in Frage zu stellen und eine Mehrdeutigkeit zu erzeugen. Ein Umschlag enthält im Allgemeinen eine Mitteilung, die abgeschickt wird. Hier im Bilde jedoch fixiert, erlaubt der Umschlag nur einen Blick durch das Fenster ins Bild. Der Blick ins Bild oder das Fenster im Bild sind nicht mehr, wie im vorigen Jahrhundert, als Fenster zur illusionistisch gemalten Realität, sondern hier als Fenster zur Malerei im Bild zu verstehen. Auf dem Umschlag selbst sind in verschiedenen Farben in Buntstift die Zahlen Null bis Neun übereinander gezeichnet. Jede Zahl hat eine andere Farbe wie bei Digitaluhren, bei denen die jeweiligen Zahlenkombinationen aufleuchten. Auch hier wiederum ist die Zahl, genauer gesagt sind alle Zahlen in einem Zeichen verschlüsselt mit der implizierten Möglichkeit, alle Zahlenkombinationen daraus entstehen zu lassen. Weitere Mitteilungen auf dem Briefumschlag wurden nahezu unleserlich gemacht, so dass man nur noch den Poststempel NYC erkennen kann.
Es entsteht ein ständiger Wechsel aller nur denkbaren bildnerischen Möglichkeiten, die sich immer wieder zu Gegensätzen – gedanklichen wie bildnerischen – zuspitzen. So sind auch die drei Worte in ihrer Statik als Gegensatz zu den sie umgebenden lebhaften Farbflächen aufzufassen. Die Graustufungen bis zum Schwarz hin bilden die Basis für die in Spannung gesetzten Akkorde Rot – Gelb – Blau, Orange – Grün – Violett. Ich bin sicher, mich keiner Übertreibung hinzugeben, wenn ich behaupte, dass kein lebender Künstler diese bildnerischen Möglichkeiten so virtuos behandelt wie Jasper Johns. Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass ganz unten links im Bilde die grundierte weiße Leinwand sichtbar wird, als größte Tiefe und Helligkeit und im Gegensatz dazu rechts das applizierte violette Tuch als Endpunkt der Farbskala.
Die Passage zwischen Flächigkeit und Raumtiefe, zwischen der statischen Bildkonstruktion und der dynamischen Malweise, den benannten Grundfarben und den verwendeten Mischfarben, den Gegenständen in ihren unterschiedlichen Repräsentationsformen, sie alle sind Übergange, die gegensätzliche Spannungen aufbauen. Aber erst jenseits dieser ebenso gedanklichen wie intuitiven Konstruktionsprinzipien, die ich hier versucht habe zu beschreiben, beginnt der eigentliche ästhetische Genuss.
Dem Ehepaar Ludwig ist es zu verdanken, dass das Bild zusammen mit dem hier zum ersten Mal publizierten Vortrag in das Museum Ludwig gelangt ist.
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