Sehr geehrter Herr Präsident,
lieber Herr Prager,
liebe Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herrn,
vielen Dank für Ihre freundliche Begrüßung, Herr Dr. Schwarz und Ihnen lieber Herr Prager für Ihre Erinnerungen. Ich freue mich über meine Berufung an die Braunschweiger HBK nicht nur weil ich in Braunschweig meine Schulzeit und Jugend verbracht habe – an der Gausschule, wo in den 40er und 50er Jahren auch Räume der HBK untergebracht waren und ich schon damals zu einigen Professoren wie Harro Siegel und Professor Ezard einen freundschaftlichen Kontakt hatte. Ich freue mich vielmehr besonders als ehemaliger Kunsthändler an diese Akademie berufen zu werden, haftete doch dem Kunsthändler langezeit - und bisweilen noch immer - der Makel des nur geschäftsorientierten und bisweilen sogar skrupellosen Kaufmannes an ganz im Gegensatz zum anerkannten und als uneigennützig geschätzten Sammler. Ich gehe sogar soweit, zu behaupten, daß der schon lange zu beobachtende Wandel im Berufsbild des Kunsthändlers als zunehmend gleichberechtigter Partner in der Vermittlung von Kunst mit dieser Berufung eine öffentliche Anerkennung gefunden hat.
Wenn ich mich heute frage, was Kunststudenten wohl von mir als ehemaligem Kunsthändler in dieser Antrittsvorlesung zu hören und zu erfahren erwarten, so könnte man schnell auf den Gedanken kommen, daß ich aus meiner langjährigen Berufserfahrung über die besten Vermarktungsstrategien und erfolgversprechendsten Verkaufskonzepte zu sprechen gedenke. Sollte dies so sein, werde ich sie enttäuschen. Vielmehr will ich heute über einen Künstler der Nachkriegsgeneration sprechen, dem es gelungen ist, als Inbegriff des unkommerziellen und spirituellen Künstlers zu gelten und gleichzeitig doch ein großer Stratege gewesen zu sein. Ich spreche von Joseph Beuys. Gab es schon immer unter den Künstlern auch kaufmännisch begabte Unternehmer von Rubens bis zu Picasso, so wurde seit Warhol die Vermarktung der eigenen Kunst und Person zu einem kunstimmanenten Thema, das bei Jeff Koons und Damian Hirst seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Ich zitiere Andy Warhol:
„Buisiness-Kunst ist der Schritt, der nach der Kunst kommt. Ich habe als Werbekünstler begonnen und möchte als Buisiness-Künstler enden. Nachdem ich mich mit „Kunst“ beschäftigt hatte, ging ich in die Buisiness-Kunst. Ich wollte ein Kunst-Buisiness-Man werden oder ein Buisiness-Künstler. Im Buisiness gut zu sein, ist die faszinierendste Art von Kunst.“
Joseph Beuys dagegen repräsentiert den Typus des reinen Künstlertums, der seine außerkünstlerischen Interessen zu verbergen verstand. Damit möchte ich jedoch alles andere als einen neuen Gegensatz zwischen Künstler und Händler unter umgekehrten Vorzeichen konstruieren, vielmehr will ich die verschiedenen Facetten von Vermarktungsstrategien zu einem soziologisch wichtigen und interessanten Thema machen, das auch von der Kunstgeschichte zunehmend ernst genommen wird. Gleichzeitig möchte ich der Mystifizierung von Beuys aus dem Blickwinkel des Kunsthändlers einen kritischen Zugang entgegensetzen, der weniger die kunsthistorische Bedeutung als vielmehr den Künstler „Joseph Beuys als Strategen“ ins Zentrum rückt. Ich beschränke mich dabei in meiner Darstellung auf meine eigene Wahrnehmung als Zeitzeuge, der Beuys nicht nur persönlich gekannt hat, sondern an vielen seiner Aktionen und Veranstaltungen teilgenommen hat.
Erst mit 40 Jahren wird Joseph Beuys 1961 Professor an der staatlichen Hochschule für Bildenden Künste in Düsseldorf. Er rückte damit nicht nur in mein Wahrnehmungsfeld, sondern wurde auch einem größeren Publikum im Rheinland bekannt, allzumal mein Freund und Kollege Alfred Schmela sein eifrigster Propagandist und Kunsthändler wurde. Ein Jahr zuvor eröffnete ich meine Galerie, in einer Umbruchsphase der Kunstproduktion, die schließlich auch zu einem veränderten Kunstbegriff führte. Nicht mehr nur Kunstwerke standen fortan im Zentrum des Diskurses, sondern auch die Aktionen und Happenings, bei denen bestenfalls Requisiten übrigblieben. Die Protagonisten dieser neuen Bewegung in Köln waren für die Musik John Cage, Mauricio Kagel und Karl-Heinz Stockhausen sowie für die bildendende Kunst Nam June Paik und Wolf Vostell. Schauplätze dieser Künstler waren das elektrische Tonstudio im WDR und das Atelier von Marie Bauermeister. In Düsseldorf veränderten die Nouveaux Realisten Arman und Yves Klein durch ihre Ausstellungen bei Alfred Schmela unsere Wahrnehmung. Durch Nam June Paik lernte auch Beuys die Fluxusbewegung und ihre Anhänger kennen. 1962 fanden die ersten Fluxusaktionen in Wiesbaden und in der Galerie Parnaß in Wuppertal statt, jedoch noch ohne Mitwirkung von Beuys, der jedoch sehr schnell die Möglichkeit des öffentlichen Auftritts für sich erkannte ohne seine eigenen Arbeiten in einer kommerziellen Galerie ausstellen zu müssen. Mehr noch erkannte Beuys, daß durch Auftritte in den Fluxusveranstaltungen, sein künstlerisches Anliegen besser transportiert werden konnte. Dennoch war Beuys nie ein Fluxuskünstler, da gerade seine bedeutungsschweren Aktionen den Intentionen der Fluxusbewegung zuwiderliefen, die vielmehr unter Berufung auf Marcel Duchamp, Dada und Cage auf die anonyme von jeder Autorschaft losgelöste Aktion zielten. Für Beuys waren von Anfang an existentielle Themen wie Geburt und Tod oder die Verwandlung der Materie durch Energie und Zeit sowie eine zu verändernde Gesellschaft die dominierenden Themen. Auch außerhalb von Fluxusveranstaltungen versäumte es Beuys nicht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Im März 1963 erschien Beuys anläßlich der ersten Paik Ausstellung in der Galerie Parnaß in Wuppertal zur Eröffnung und begann unvermittelt eines der Ausstellungsstücke, nämlich ein von Paik präpariertes Ibach Klavier, das upside-down im Raume lag, mit der Axt zu zertrümmern. Die Besucher glaubten zunächst an einen Affront, da aber Paik die Aktion zwar überrascht, aber doch mit Interesse verfolgte, ließ man ihn gewähren. Schon 1962 hatten andere Künstler bei dem ersten Fluxusfestival in Wiesbaden ein Klavier zertrümmert. Was auch immer Beuys mit dieser geborgten Aktion bezweckte blieb allen Anwesenden ein Geheimnis, er jedoch stand im Mittelpunkt des Geschehens. Die Instrumente waren von Paik ursprünglich nicht zur Zerstörung, sondern ganz im Gegenteil durch die Präparation zur Erzeugung neuer Klänge vorgesehen.
So wie er die Fluxusaktionen für seine eigensten Interessen nutzte, so funktionierte er auch einen Vortrag von Allan Kaprow über das amerikanische Happening in meiner Galerie im Juli 1963 zu einer Beuysaktion um, indem er während des Vortrags erstmalig einen Karton mit einer Fettecke in meinem Schaufenster ausstellte. Dieses aus damaliger Sicht kaum ernst genommene Exponat, das auch nach dem Vortrag noch im Schaufenster stehen blieb, war die ersten Aktion mit dem für Beuys so charakteristischen Material.
Eindeutiger wurde seine Strategie im Auditorium der technischen Hochschule in Aachen als er ausgerechneten am 20. Juli 1963 an einer Fluxusveranstaltung mitwirkte. Ohne hier auf die Aktionen im einzelnen eingehen zu können, beeindruckte mich seine spontane Reaktion, als er von einem Besucher mit zwei Faustschlägen ins Gesicht geschlagen wurde und seine Nase zu bluten begann, er sich aber nicht das Blut abwischte, sondern aus seiner Requisitenkiste, die neben ihm auf der Bühne stand, einen Kruzifix sowie Schokoladentafeln herausholte. Er verweigerte sogar ein Taschentuch, das ihm von einem Nebenstehenden angereicht wurde und ließ das Blut wirkungsvoll über sein Gesicht laufen. Mit der linken hob er das Kruzifix vor das Gesicht und mit der rechten warf er die Schokoladentafeln ins Publikum. Dabei wirkte diese Geste wie ein Segen. In dieser Pose wurde Beuys natürlich sofort fotografiert. Dieses Foto hat das öffentliche Bild des Künstlers mehr bestimmt als jedes seiner Werke - Beuys als der leidende, bekennende und verzeihende Künstler. Mit dieser Aktion in Aachen beginnt der Mythos Beuys, der von ihm in Zukunft weiter eingesetzt wird. Diese Mythisierung seiner Person wurde verstärkt durch die biographische Geschichte vom legendären Flugzeugabsturz auf der Krim. Während des Zweiten Weltkrieges war Beuys Pilot und mußte 1944 seinen Angaben zufolge mit seiner Maschine zwischen den Fronten notlanden. Tartaren retteten angeblich den Verletzten, indem sie seinen Körper mit Hilfe von Fett und Filz wärmten. Nach Buchlohs ausführlicher Analyse läßt sich der in seiner Widersprüchlichkeit zu einem Ursprungsmythos stilisierte Absturz von Beuys, seine tagelange Bewußtlosigkeit und seine Rettung durch die Tartaren einerseits als eine Paraphrase des Phoenix-Mythos deuten, andererseits als die Wunde der Verdrängung, des Gedächtnis- und Geschichtsverlusts, den die Kriegsgeneration des Nazi-Regimes erlitten hatte. Dabei muß zunächst offen bleiben, wie sehr die wechselseitige Durchdringung von Kunst und Leben, die bei Beuys zur mystischen/mythischen Stilisierung seiner Person und seiner Biographie geführt hat, als intuitive Metapher, programmatische Methode oder als taktisches Kalkül angesehen werden muß. In jedem Fall war es eine erfolgreiche Strategie. Beuys verfügte über ein feines Gespür für Inszenierungstechniken. Wie kein anderer Künstler inszenierte er seine Auftritte und Ausstellungen ebenso sorgfältig wie sein äußeres Erscheinungsbild. Die von ihm autorisierten Fotos in Katalogen stellen ihn oft als Leidenden dar oder auch als charismatischen Führer wie auf dem großformatigen Multiple „La rivoluzione siamo noi“, auf dem Beuys mit Stiefeln und geschulterter Tasche dem Betrachter entgegenmarschiert. Noch eindeutiger ist die ganzseitige Abbildung im Guggenheimkatalog, wo sein verschwommenes Abbild in die Nähe des Turiner Grabtuches rückt. Gleichzeitig setzte Beuys von Anbeginn auf die traditionelle Musealisierung seiner Objekte. Deshalb benutzte er naturwissenschaftliche Vitrinen, so wie sie im 19. Jh. üblich waren. Gegenüber dieser eher rückwärtsgewandten Haltung überraschte immer wieder seine virtuose Außendarstellung vermittels der Fotografie. Als Vergleich könnte man Stefan George anführen, dessen veröffentlichte Fotos ihn immer wieder in die Nähe von Dante Portraits rückten. Beide Künstler verbindet darüber hinaus, daß sie sich stets mit einem Kreis von Jüngern umgaben.
Erst 1965, also mit 44 Jahren gibt er dem Drängen seines Kunsthändlers nach und stellt im November in der Galerie Schmela in Düsseldorfer Altstadt zum ersten Male in einer kommerziellen Galerie aus. Die Einladungskarte besagte noch nichts von einer Aktion. Die Besucher standen zunächst vor der verschlossenen Galerie. Das Schaufenster war durch einen Vorhang zugezogen. Erst als eine größere Menge von Menschen sich vor dem Schaufenster drängelte zog Schmela den Vorhang beiseite und man sah links vom Fenster den Künstler mit dem Rücken zum Publikum gewandt auf einem mit Filz umwickelten Schemel sitzen, sein Gesicht vollkommen mit Honig und Blattgold bedeckt, in seinen Armen einen toten Hasen haltend. Der Künstler saß regungslos für längere Zeit, erhob sich dann und zeigte seinem Hasen sehr langsam und ausführlich die Exponate, indem er mit der Hasenpfote die Werke berührte. Während der ganzen Aktion konnte man die Galerie nicht betreten und das Geschehen nur durch das Schaufenster verfolgen. Erst ein bis zwei Stunden später wurde die Tür geöffnet. Der Künstler blieb auf seinem erhöhten Schemel während der Eröffnungsfeier sitzen und wirkte mit seiner Goldmaske wie ein Schamane. Wenn man auch nicht die tiefere Bedeutung dieser Aktion verstand, so spürte man doch die starke Anwesenheit des Künstlers im Raum, die nicht ohne Wirkung auf die ausgestellten Arbeiten blieb. Entsprechend war auch die Reaktion der Medien. Beuys wurde mit dieser Ausstellung zum geheimnisvollsten und berühmtesten deutschen Künstler der 60er und 70er Jahre, er wurde gleichsam zum Synonym für die zeitgenössische, letztlich noch unverständliche Kunst wie es vor ihm Picasso lange gewesen war.
Schon zwei Jahre später 1967 bekam Beuys seine erste Museumsausstellung in dem gerade neu eröffneten Museum in Mönchengladbach. Der sehr agile und umtriebige Kunsthändler Franz Dahlem konnte den damals größten Sammler für zeitgenössische Kunst, Karl Ströher aus Darmstadt (Peter Ludwig kam erst später in die Szene), für das Werk von Beuys interessieren. Deshalb wurde bereits am Eröffnungstag der Ausstellung in Mönchengladbach der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß die gesamte Ausstellung von Karl Ströher angekauft worden sei. Diese von Franz Dahlem und Beuys bewußt lancierte Falschmeldung hatte zunächst zur Folge, daß nun viele Sammler in Deutschland auf Beuys aufmerksam wurden. Der gleiche Kunsthändler vermittelte ein Jahr später die bedeutendste Pop-Art Sammlung Amerikas, die Kraushar-Sammlung, mit Werkblöcken von Warhol, Lichtenstein, Rauschenberg, Oldenbourg, Jasper Johns etc an Ströher. Dieser spektakuläre Ankauf wurde noch im gleichen Jahr im Haus der Kunst in München mit zahlreichen Folgestationen in Deutschland und der Schweiz gezeigt, gemeinsam mit 180 Werken von Beuys, die bewußt irreführend bereits als Ströher Sammlung firmierten. Es war der für Joseph Beuys erfolgreichen Versuch von Franz Dahlem und Heiner Friedrich über die Kraushar Sammlung auch seine Werke einer größeren Öffentlichkeit in ganz Deutschland bekannt und auch museumswürdig zu machen. Im Mai 1968 schrieb Eduard Beaucamp in der FAZ unter dem Titel „Das große Werben“ vom Versuch des Münchner Generaldirektors Soehner, die gesamte Ströher Sammlung für die Neue Pinakothek als Dauerleihgabe im Haus der Kunst zu installieren.¹ Beaucamp berichtete in seinem Artikel vom Erwerb der Beuys Ausstellung durch Ströher mit insgesamt 180 Werken, die nun in München der ehemaligen Kraushar-Sammlung gegenüberstanden. Diese Mitteilung war ein Ergebnis der bewußten Irreführung und griff den Tatsachen zwei Jahre voraus. Bis dahin hatte Ströher dem Künstler lediglich à Konto Zahlungen für die Produktion neuerer Arbeiten, insbesondere für die documenta Installation geleistet, aber selber noch keine Arbeiten erworben. Durch die Bereitstellung von DM 200.000,- war es Beuys möglich, die große und eindrucksvolle „Raumplastik“ herzustellen in unmittelbarer Nähe zu der großen Kienholz-Installation „Roxy“ und den anderen amerikanischen Pop Künstlern. Der bisher mehr oder weniger national geführte Diskurs über das Werk von Beuys weitete sich jetzt international aus.
Den ersten Ankauf von Beuys tätigte Ströher 1969 in der Galerie Schmela: die große Kupfer-Filz Installation „Fond III“ für 100.000,- DM. Erst als das Kunstmuseum in Basel 1969/70 den Beuys Block als Teil der Sammlung Ströher ausstellte, wurden auch internationale Händler wie Leo Castelli und Ileana Sonnabend auf sein Werk aufmerksam und machten dem Künstler bzw. seinem Sammler Ströher Kaufangebote. Ströher war tatsächlich bereit, gegen den Willen von Beuys und Dahlem Teile aus dem Beuys-Block zu verkaufen – obwohl er noch gar nicht angekauft worden war -, um seine Zahlungen für die Dokumenta-Arbeiten zurückzubekommen. Um das Auseinanderreißen dieser bedeutenden frühen Werkgruppe zu verhindern, wendete sich Franz Dahlem an Franz Mayer, damals Direktor im Baseler Kunstmuseum, dem er den gesamten Beuys Block für DM 600.000,- anbot. Der Ankauf scheiterte jedoch am angeblichen Platzmangel. Erst zur Eröffnung der Ausstellung im Darmstädter Landesmuseum April 1970 erwarb Ströher den gesamten Beuys Block für DM 800.000,- unter Anrechnung der bis dahin geleisteten Zahlungen.
Mit dieser erfolgreichen Strategie hatte der Künstler einen Markt in Deutschland erworben, nicht jedoch den letztlich alles entscheidenden in den Vereinigten Staaten. Eine Ausstellung mit Zeichnungen von Beuys in den USA sollte erst 1972 stattfinden. Es ist heute schwer einzuschätzen, ob diese Verzögerung aus einem Mangel an konkreten Ausstellungsangeboten oder einer aktiven Verweigerungshaltung entsprang, eine Darstellung wie sie Joseph Beuys propagierte. Sicherlich spielten der Vietnam Krieg und die Politik Nixons auch eine Rolle für seine anti-amerikanische Haltung dieser Jahre. Trotzdem möchte ich betonen, daß Beuys ein langfristig denkender Stratege war, der mit Sicherheit bereits damals über einen gut vorbereiteten Auftritt in den USA zum richtigen Zeitpunkt nachgedacht hatte. Wie sehr Josef Beuys seine Karriere auch strategisch plante, erfuhr ich, als er im Frühjahr 1968 den damals schon bekannten Kölner Sammler Wolfgang Hahn in sein Atelier bat und ihm eine einseitig verbrannte Ateliertür mit Vogelschädel und Hasenfellteilchen von 1956 für dessen Sammlung schenkte. Beuys hatte erfahren, daß die Hahn-Sammlung im Wallraf-Richartz Museum ausgestellt werden sollte. Wolfgang Hahn besaß damals nur eine kleine Arbeit des Künstlers, die keinen Vergleich mit den Werken von Rauschenberg, Oldenbourg, Segal und den Nouveau Realisten standgehalten hätte. In der Tat hatte der spezifisch europäisch-amerikanische Dialog dieser Sammlung eine außerordentlich große Wirkung, auch auf Peter Ludwig.
Auch den gerade erst 1967 gegründeten und überaus erfolgreichen Kunstmarkt nutzte Beuys für seine strategischen Demonstrationen. Obwohl er 1970 in mehreren Kojen mit Arbeiten vertreten war, (René Block hatte eine One-man-show in seiner Koje mit dem berühmten Werk „Das Rudel“, dem VW Bus mit den vielen Schlitten, die auf dem Kunstmarkt an den Sammler Herbig für DM 200.000,- verkauft wurde und die WWS-Gallery aus Antwerpen zeigte den in Filz eingenähten Konzertflügel aus einer Düsseldorfer Fluxusuaktion von 1966, den ich selber für 90.000,- DM erwarb) protestierte er mit anderen Künstlern zusammen gegen den Kunstmarkt und seine Exklusivität. Er forderte, daß der Kunstmarkt für alle Händler und Produzenten geöffnet werden müsse. Gleichzeitig beklagte er seine hohen Preise, für die nur der Handel verantwortlich sei.
Zitat aus einem Interview mit dem Künstler im Kölner Stadtanzeiger: „Ich halte die hohen Kunstmarktpreise für unangemessen. Das meine Arbeiten so teuer sind, dafür kann ich nichts, denn die Preise bestimmt meistens der Handel allein.“
Auch die 1972 aufsehen erregende Adlerausstellung von Marcel Broodthaers in der Düsseldorfer Kunsthalle versuchte Beuys als Plattform einer Selbstdarstellung zu nutzen. Unangemeldet erschien er mit einem Fernsehteam in der Ausstellung, wurde jedoch auf Veranlassung von Broodthaers durch den Hausherrn Jürgen Harten des Hauses verwiesen. Erst gegen Ende des Jahres fand Broodthaers dann die geeignete Form, um auf diese Verletzung seiner künstlerischen Integrität zu reagieren. Die Fiktion eines wiedergefundenen Briefes von Jacques Offenbach an Richard Wagner diente ihm als Maskerade, um seiner Differenz Beuys gegenüber auf elegante Weise Ausdruck zu verleihen. Die Kritik von Broodthaers zielte auf die Verflechtung von Kunst und Politik. Hintergrund war die Einladung an Beuys und Broodthaers u.a. zu einer Gruppenausstellung „Paris-Düsseldorf-Amsterdam“ in das New Yorker Guggenheim Museums, das kurz zuvor einer Hans Haacke Ausstellung aus offensichtlich politischen Gründen eine Absage erteilt hatte. Die Absage hatte einen solchen Skandal in der Kunstwelt ausgelöst, daß eine Teilnahme als Unterstützung dieser Ausstellungspolitik der Zensur angesehen werden mußte. Beuys versuchte auf die prekäre Situation zu reagieren, indem er nur das Programm seiner „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ einbrachte. Broodthaers dagegen zog seinen Beitrag für die New Yorker Station zurück.
Beuys, der in Düsseldorf bereits das Medientalent Yves Klein kennengelernt hatte, bewunderte auch bei Andy Warhol seinen Umgang mit den Medien und wußte, daß eine erste Aktion oder Ausstellung in den USA auch ein Medienereignis werden mußte. So hatte er keine Einwände mehr, als Ronald Feldman in seiner New Yorker Galerie 1972 ohne seine Beteiligung zunächst nur Zeichnungen als Leihgaben von Lucio Amelio aus Neapel ausstellte, war doch bereits das Interesse des Museums of Modern Art an seinen Zeichnungen durch die damalige Kuratorin Bernice Rose bekundet worden. Als Ronald Feldman dann 1973 zum ersten Mal Beuys in Düsseldorf persönlich besuchte und ihn für 1974 zu einer Vortragsreise einlud, überraschte Beuys seine Umgebung durch eine spontane Zusage. Die erste öffentliche Vorlesung fand in New York 1974 vor einem überfüllten Auditorium von über 500 Personen statt mit einer anschließend äußerst lebhaften und kontroversen Diskussion. Am folgenden Tag stellte er sich selber in der Galerie Feldman als „soziale Plastik“ aus und beantwortete einen Tag lang in der Galerie auf- und abgehend die Fragen der Besucher, die überrascht waren zu erfahren, daß sie bereits durch ihre Fragen an der „sozialen Skulptur“ mitwirkten. Der Andrang zu seinen Vorlesungen im Art Instiute in Chicago und am Institute for Art and Technology in Minneapolis war noch größer. Beuys war sicherlich von dem starken Interesse an seinen Vorlesungen beeindruckt und in seinem längst vorher gefaßten Entschluß bestärkt, in New York auch eine Aktion durchzuführen. Da sein Berliner Kunsthändler und Freund René Block in New York für seine deutschen Künstler Jospeh Beuys, Sigmar Polke, Gerhard Richter und den internationalen Fluxus Künstlern Nam June Paik, Georges Maciunas, Dick Higgins u.a., die ebenfalls noch nicht in New York repräsentiert waren, eine Galerie eröffnen wollte, dies aber abhängig machte von einer Zusage Beuys’, die Galerie mit einer Ausstellung oder Aktion zu eröffnen, kam es 1974 zur Gründung der René Block Gallery und zu seiner ersten Aktion in New York. Es ist heute schwer nachzuvollziehen, warum es Beuys damals wichtig erschien, diese Aktion in einer deutschen Galerie durchzuführen, also quasi auf deutschem Boden. Obwohl er sich mit der Vortragsreise bereits längere Zeit in den USA aufgehalten hatte, wollte er bei seiner ersten Aktion amerikanischen Boden nicht öffentlich betreten, und ließ sich bereits in der Ankunftshalle des Kennedy Airports verbinden und auf einer Bahre liegend in einem Krankenwagen in die Galerie René Block transportieren. Die Galerie war in einen Käfig mit Metallgitter umgestaltet, in den man einen Kojoten aus einer Tierfarm in New Jersey gebracht hatte, sowie weitere Requisition wie einen Hirtenstab, Filz, Stroh und mehrere Exemplare des Wall Street Journals, auf die der Kojote auch medienwirksam pinkelte. Das gesamte Ereignis wurde als ein Medienereignis in all seinen Stationen fotografiert und dokumentiert. Es wurde verlautbart, daß der Künstler während der gesamten 4tägigen Aktion den Käfig nicht verlassen werde. Die Wirklichkeit sah etwas anders aus, da Block über der Galerie seine Wohnung hatte. Der ebenso bezeichnende wie werbewirksame Titel dieser Aktion „I like America and America likes me“ stimmte nur bedingt, da nur der New Yorker Untergrund überhaupt von der Aktion Kenntnis nahm und die New York Times die Anwesenheit von Beuys mit keinem Worte erwähnte. Nur die Village Voice brachte ein Photo auf ihrem Cover. Warhol und die bereits bekannteren New Yorker Künstler haben die Aktion überhaupt nicht gesehen. Die New Yorker Kunsthändler sowie die Museumskuratoren mit Ausnahme von Ronald Feldman ignorierten das Ereignis. Beuys ließ sich so wie gekommen auch per Ambulanz wieder zum Flughafen zurückbringen.
Der kommerzielle Erfolg von Beuys in den USA war niederschmetternd und ist es bis heute geblieben. Auch seine großen Installationen „Feuerstätte“ und „Richtkräfte“, die bei Feldmann und bei René Block in New York gezeigt wurden, blieben unverkauft und wurden später vom Baseler Kunstmuseum und von der Nationalgalerie in Berlin angekauft. Außer der Vitrine „Das Samuraischwert ist eine Blutwurst“ im Museum of Modern Art sowie der eher marginalen Arbeit eines Fiat Autos mit dem Aufdruck „FIU“ im Guggenheim Museum befinden sich größere und wichtige Werke nur in der Dia Art Foundation durch die schon erwähnte Vermittlung und Finanzierung des Münchner Kunsthändlers Heiner Friedrich. Im Gegensatz zu Warhol, dessen Werk in Europa hervorragend und umfangreich in öffentlichen Sammlungen vertreten ist, wurden keine wesentlichen Werke von Beuys, insbesondere keine Installationen, in öffentlichen Sammlungen in den USA angekauft. Der Kritiker Harold Rosenberg hatte schon anläßlich seiner ersten Zeichnungsausstellung bei Feldman festgestellt, daß Beuys nicht zeichnen könne. Diese Kritik wirkte besonders verheerend, weil über die allgemein als qualitätvoll anerkannten Zeichnungen der Zugang zu seinem plastischen Werk erleichtert wurde. So dauerte es noch einmal fast vier Jahre bis Tom Messer, damaliger Leiter des Guggenheim Museums, unter dem Eindruck seines Werkes „Tram“ auf der Biennale zu einer großen Retrospektive in seinem Hause entschloß. Der Künstler konnte weitgehend Umfang und Durchführung der Ausstellung mit der von ihm selbst benannten englischen Kuratorin, Caroline Tisdal, bestimmen. Vorbedingung war jedoch, eine Werkausstellung einzurichten, und keine Aktionen zu planen. So kam es dann im November 1979 zu der ersten großen Museumsausstellung von Joseph Beuys in den USA. Beuys war auf der Höhe seines Ruhms und genoß mit großem persönlichem Gefolge seinen Auftritt in New York. So großartig die Ausstellung auch in 24 Lebensstationen inszeniert war und die wichtigsten Hauptwerke versammelt waren, so verhalf sie dem Künstler dennoch nicht zu einer stärkeren Präsenz in privaten oder öffentlichen Sammlungen in den USA. Die Kritik war dem Werk gegenüber im Allgemeinen ratlos und vermißte Aktionen des Künstlers, für die er bereits bekannt geworden war. Einige Kritiker bescheinigten Beuys zwar, der wichtigste europäische Künstler der Nachkriegszeit zu sein, ohne dies jedoch kunsthistorisch zu begründen.
Benjamin Buchloh ging im Artforum Januar 1980 allerdings umfassend auf das Werk ein und verglich das Phänomen Beuys mit Richard Wagner. Buchloh beklagte, daß der Künstler hinter Duchamp zurückfalle und seine Objekte wieder mit Bedeutungen auflade. Er kritisierte weiterhin, daß seine wissenschaftsfeindlichen Utopien regressiv seien und sah in seiner abstrakten Universalität privatistische und subjektivistische Qualitäten. Diese letztlich vernichtende Kritik wurde im Grundsatz auch von Werner Spies geteilt, der die Guggenheim Ausstellung in der FAZ eingehend besprach und ebenfalls bemerkte, daß sich Beuys außerhalb der Geschichte zu stellen versuche und dementsprechend auch im Katalog, Beuys nur mit Beuys zu erklären versucht werde. Eine kritische und historische Würdigung fände nicht statt. Es wurden ebenfalls die restaurativen Züge im Werk kritisiert, in der amerikanischen Presse sogar vom nordischen und völkischen Charakter seiner Arbeiten gesprochen. Die Person und der von ihr geschaffene und geförderte Mythos standen im Vordergrund. Von Anfang an war seine persönliche Aura für die Akzeptanz des Werkes entscheidend, wie ich es in seiner ersten Ausstellung bei Schmela so stark empfunden hatte. Als vor einigen Jahren, die Gefahr bestand, daß der Darmstadt-Block verkauft werden sollte, war die Entrüstung deshalb so groß, weil diese Werkgruppe noch vom Künstler persönlich installiert worden war und die somit verbundene Aura nicht gestört werden durfte. Diese spezifisch Beuyssche Strategie hat ihn zwar zu Lebzeiten zu Erfolg und Ruhm besonders in Deutschland geführt, hat aber bis heute den Erfolg in den Vereinigten Staaten und eine kritische Auseinandersetzung verhindert.
Meine persönliche Überzeugung aus eigener Berufserfahrung, die sich aber auch an diesem Beispiel bestätigt, ist, daß keine noch so durchdachte Vermarktungsstrategie angesichts historischer Dimensionen langfristig Erfolg garantieren kann. Allerdings stellt sich heute angesichts der allgemeinen Beschleunigung des Lebens ohnehin die Frage, für welche Dauer ein Werk konzipiert wird und wo die geeigneten Aufbewahrungsorte sein werden. Aber dies ist bereits ein anderes Thema, über das ich gerne in diesem Hause zu einem anderen Zeitpunkt sprechen möchte.
1
Eduard Beaucamp, Das große Werben, in: FAZ 20.5.1968
2
Zwei der von Hans Haacke für die Ausstellung geplanten Werke sollten im Rahmen seiner Arbeit zu sozialen Systemen die Grundbesitzverhältnisse in Manhattan durch Fotografien der dortigen Häuserfassaden in Verbindung mit erläuternden Texten offenlegen. Die Absage begründete die Museumsleitung mit ihrer Ausstellungspolitik, die ein aktives Engagement für soziale und politische Fragen ausschloß. s. Hans Haacke, Unfinished Business, Ausst.- Kat. The New Museum of Contemporary Art and Massachusetts Institute of Technology, New York 1986, 92ff
3
Stefan Germer, Haacke, Broodthaers, Beuys, in: October 45, 1988, 63-75
4
Benjamin Buchloh, The Twilight of the Idol, in: Artforum, New York, Januar 1980, 35-40; in dt. Übersetzung Die Götzendämmerung, in: Brennpunkt Düsseldorf, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Düsseldorf 1987, 60-77
5
Werner Spies, Von Filz und Fett zum Sonnenstaat?, Joseph Beuys im Guggenheim-Museum in New York, in: FAZ 13.11.1979
6
Robert von Berg, Der Schamane als Künstler. Zur Beuys-Rezeption in der New Yorker Presse, in: Süddeutsche Zeitung 15.11.1979
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Sehr geehrter Herr Präsident,
lieber Herr Prager,
liebe Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herrn,
vielen Dank für Ihre freundliche Begrüßung, Herr Dr. Schwarz und Ihnen lieber Herr Prager für Ihre Erinnerungen. Ich freue mich über meine Berufung an die Braunschweiger HBK nicht nur weil ich in Braunschweig meine Schulzeit und Jugend verbracht habe – an der Gausschule, wo in den 40er und 50er Jahren auch Räume der HBK untergebracht waren und ich schon damals zu einigen Professoren wie Harro Siegel und Professor Ezard einen freundschaftlichen Kontakt hatte. Ich freue mich vielmehr besonders als ehemaliger Kunsthändler an diese Akademie berufen zu werden, haftete doch dem Kunsthändler langezeit - und bisweilen noch immer - der Makel des nur geschäftsorientierten und bisweilen sogar skrupellosen Kaufmannes an ganz im Gegensatz zum anerkannten und als uneigennützig geschätzten Sammler. Ich gehe sogar soweit, zu behaupten, daß der schon lange zu beobachtende Wandel im Berufsbild des Kunsthändlers als zunehmend gleichberechtigter Partner in der Vermittlung von Kunst mit dieser Berufung eine öffentliche Anerkennung gefunden hat.
Wenn ich mich heute frage, was Kunststudenten wohl von mir als ehemaligem Kunsthändler in dieser Antrittsvorlesung zu hören und zu erfahren erwarten, so könnte man schnell auf den Gedanken kommen, daß ich aus meiner langjährigen Berufserfahrung über die besten Vermarktungsstrategien und erfolgversprechendsten Verkaufskonzepte zu sprechen gedenke. Sollte dies so sein, werde ich sie enttäuschen. Vielmehr will ich heute über einen Künstler der Nachkriegsgeneration sprechen, dem es gelungen ist, als Inbegriff des unkommerziellen und spirituellen Künstlers zu gelten und gleichzeitig doch ein großer Stratege gewesen zu sein. Ich spreche von Joseph Beuys. Gab es schon immer unter den Künstlern auch kaufmännisch begabte Unternehmer von Rubens bis zu Picasso, so wurde seit Warhol die Vermarktung der eigenen Kunst und Person zu einem kunstimmanenten Thema, das bei Jeff Koons und Damian Hirst seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Ich zitiere Andy Warhol:
„Buisiness-Kunst ist der Schritt, der nach der Kunst kommt. Ich habe als Werbekünstler begonnen und möchte als Buisiness-Künstler enden. Nachdem ich mich mit „Kunst“ beschäftigt hatte, ging ich in die Buisiness-Kunst. Ich wollte ein Kunst-Buisiness-Man werden oder ein Buisiness-Künstler. Im Buisiness gut zu sein, ist die faszinierendste Art von Kunst.“
Joseph Beuys dagegen repräsentiert den Typus des reinen Künstlertums, der seine außerkünstlerischen Interessen zu verbergen verstand. Damit möchte ich jedoch alles andere als einen neuen Gegensatz zwischen Künstler und Händler unter umgekehrten Vorzeichen konstruieren, vielmehr will ich die verschiedenen Facetten von Vermarktungsstrategien zu einem soziologisch wichtigen und interessanten Thema machen, das auch von der Kunstgeschichte zunehmend ernst genommen wird. Gleichzeitig möchte ich der Mystifizierung von Beuys aus dem Blickwinkel des Kunsthändlers einen kritischen Zugang entgegensetzen, der weniger die kunsthistorische Bedeutung als vielmehr den Künstler „Joseph Beuys als Strategen“ ins Zentrum rückt. Ich beschränke mich dabei in meiner Darstellung auf meine eigene Wahrnehmung als Zeitzeuge, der Beuys nicht nur persönlich gekannt hat, sondern an vielen seiner Aktionen und Veranstaltungen teilgenommen hat.
Erst mit 40 Jahren wird Joseph Beuys 1961 Professor an der staatlichen Hochschule für Bildenden Künste in Düsseldorf. Er rückte damit nicht nur in mein Wahrnehmungsfeld, sondern wurde auch einem größeren Publikum im Rheinland bekannt, allzumal mein Freund und Kollege Alfred Schmela sein eifrigster Propagandist und Kunsthändler wurde. Ein Jahr zuvor eröffnete ich meine Galerie, in einer Umbruchsphase der Kunstproduktion, die schließlich auch zu einem veränderten Kunstbegriff führte. Nicht mehr nur Kunstwerke standen fortan im Zentrum des Diskurses, sondern auch die Aktionen und Happenings, bei denen bestenfalls Requisiten übrigblieben. Die Protagonisten dieser neuen Bewegung in Köln waren für die Musik John Cage, Mauricio Kagel und Karl-Heinz Stockhausen sowie für die bildendende Kunst Nam June Paik und Wolf Vostell. Schauplätze dieser Künstler waren das elektrische Tonstudio im WDR und das Atelier von Marie Bauermeister. In Düsseldorf veränderten die Nouveaux Realisten Arman und Yves Klein durch ihre Ausstellungen bei Alfred Schmela unsere Wahrnehmung. Durch Nam June Paik lernte auch Beuys die Fluxusbewegung und ihre Anhänger kennen. 1962 fanden die ersten Fluxusaktionen in Wiesbaden und in der Galerie Parnaß in Wuppertal statt, jedoch noch ohne Mitwirkung von Beuys, der jedoch sehr schnell die Möglichkeit des öffentlichen Auftritts für sich erkannte ohne seine eigenen Arbeiten in einer kommerziellen Galerie ausstellen zu müssen. Mehr noch erkannte Beuys, daß durch Auftritte in den Fluxusveranstaltungen, sein künstlerisches Anliegen besser transportiert werden konnte. Dennoch war Beuys nie ein Fluxuskünstler, da gerade seine bedeutungsschweren Aktionen den Intentionen der Fluxusbewegung zuwiderliefen, die vielmehr unter Berufung auf Marcel Duchamp, Dada und Cage auf die anonyme von jeder Autorschaft losgelöste Aktion zielten. Für Beuys waren von Anfang an existentielle Themen wie Geburt und Tod oder die Verwandlung der Materie durch Energie und Zeit sowie eine zu verändernde Gesellschaft die dominierenden Themen. Auch außerhalb von Fluxusveranstaltungen versäumte es Beuys nicht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Im März 1963 erschien Beuys anläßlich der ersten Paik Ausstellung in der Galerie Parnaß in Wuppertal zur Eröffnung und begann unvermittelt eines der Ausstellungsstücke, nämlich ein von Paik präpariertes Ibach Klavier, das upside-down im Raume lag, mit der Axt zu zertrümmern. Die Besucher glaubten zunächst an einen Affront, da aber Paik die Aktion zwar überrascht, aber doch mit Interesse verfolgte, ließ man ihn gewähren. Schon 1962 hatten andere Künstler bei dem ersten Fluxusfestival in Wiesbaden ein Klavier zertrümmert. Was auch immer Beuys mit dieser geborgten Aktion bezweckte blieb allen Anwesenden ein Geheimnis, er jedoch stand im Mittelpunkt des Geschehens. Die Instrumente waren von Paik ursprünglich nicht zur Zerstörung, sondern ganz im Gegenteil durch die Präparation zur Erzeugung neuer Klänge vorgesehen.
So wie er die Fluxusaktionen für seine eigensten Interessen nutzte, so funktionierte er auch einen Vortrag von Allan Kaprow über das amerikanische Happening in meiner Galerie im Juli 1963 zu einer Beuysaktion um, indem er während des Vortrags erstmalig einen Karton mit einer Fettecke in meinem Schaufenster ausstellte. Dieses aus damaliger Sicht kaum ernst genommene Exponat, das auch nach dem Vortrag noch im Schaufenster stehen blieb, war die ersten Aktion mit dem für Beuys so charakteristischen Material.
Eindeutiger wurde seine Strategie im Auditorium der technischen Hochschule in Aachen als er ausgerechneten am 20. Juli 1963 an einer Fluxusveranstaltung mitwirkte. Ohne hier auf die Aktionen im einzelnen eingehen zu können, beeindruckte mich seine spontane Reaktion, als er von einem Besucher mit zwei Faustschlägen ins Gesicht geschlagen wurde und seine Nase zu bluten begann, er sich aber nicht das Blut abwischte, sondern aus seiner Requisitenkiste, die neben ihm auf der Bühne stand, einen Kruzifix sowie Schokoladentafeln herausholte. Er verweigerte sogar ein Taschentuch, das ihm von einem Nebenstehenden angereicht wurde und ließ das Blut wirkungsvoll über sein Gesicht laufen. Mit der linken hob er das Kruzifix vor das Gesicht und mit der rechten warf er die Schokoladentafeln ins Publikum. Dabei wirkte diese Geste wie ein Segen. In dieser Pose wurde Beuys natürlich sofort fotografiert. Dieses Foto hat das öffentliche Bild des Künstlers mehr bestimmt als jedes seiner Werke - Beuys als der leidende, bekennende und verzeihende Künstler. Mit dieser Aktion in Aachen beginnt der Mythos Beuys, der von ihm in Zukunft weiter eingesetzt wird. Diese Mythisierung seiner Person wurde verstärkt durch die biographische Geschichte vom legendären Flugzeugabsturz auf der Krim. Während des Zweiten Weltkrieges war Beuys Pilot und mußte 1944 seinen Angaben zufolge mit seiner Maschine zwischen den Fronten notlanden. Tartaren retteten angeblich den Verletzten, indem sie seinen Körper mit Hilfe von Fett und Filz wärmten. Nach Buchlohs ausführlicher Analyse läßt sich der in seiner Widersprüchlichkeit zu einem Ursprungsmythos stilisierte Absturz von Beuys, seine tagelange Bewußtlosigkeit und seine Rettung durch die Tartaren einerseits als eine Paraphrase des Phoenix-Mythos deuten, andererseits als die Wunde der Verdrängung, des Gedächtnis- und Geschichtsverlusts, den die Kriegsgeneration des Nazi-Regimes erlitten hatte. Dabei muß zunächst offen bleiben, wie sehr die wechselseitige Durchdringung von Kunst und Leben, die bei Beuys zur mystischen/mythischen Stilisierung seiner Person und seiner Biographie geführt hat, als intuitive Metapher, programmatische Methode oder als taktisches Kalkül angesehen werden muß. In jedem Fall war es eine erfolgreiche Strategie. Beuys verfügte über ein feines Gespür für Inszenierungstechniken. Wie kein anderer Künstler inszenierte er seine Auftritte und Ausstellungen ebenso sorgfältig wie sein äußeres Erscheinungsbild. Die von ihm autorisierten Fotos in Katalogen stellen ihn oft als Leidenden dar oder auch als charismatischen Führer wie auf dem großformatigen Multiple „La rivoluzione siamo noi“, auf dem Beuys mit Stiefeln und geschulterter Tasche dem Betrachter entgegenmarschiert. Noch eindeutiger ist die ganzseitige Abbildung im Guggenheimkatalog, wo sein verschwommenes Abbild in die Nähe des Turiner Grabtuches rückt. Gleichzeitig setzte Beuys von Anbeginn auf die traditionelle Musealisierung seiner Objekte. Deshalb benutzte er naturwissenschaftliche Vitrinen, so wie sie im 19. Jh. üblich waren. Gegenüber dieser eher rückwärtsgewandten Haltung überraschte immer wieder seine virtuose Außendarstellung vermittels der Fotografie. Als Vergleich könnte man Stefan George anführen, dessen veröffentlichte Fotos ihn immer wieder in die Nähe von Dante Portraits rückten. Beide Künstler verbindet darüber hinaus, daß sie sich stets mit einem Kreis von Jüngern umgaben.
Erst 1965, also mit 44 Jahren gibt er dem Drängen seines Kunsthändlers nach und stellt im November in der Galerie Schmela in Düsseldorfer Altstadt zum ersten Male in einer kommerziellen Galerie aus. Die Einladungskarte besagte noch nichts von einer Aktion. Die Besucher standen zunächst vor der verschlossenen Galerie. Das Schaufenster war durch einen Vorhang zugezogen. Erst als eine größere Menge von Menschen sich vor dem Schaufenster drängelte zog Schmela den Vorhang beiseite und man sah links vom Fenster den Künstler mit dem Rücken zum Publikum gewandt auf einem mit Filz umwickelten Schemel sitzen, sein Gesicht vollkommen mit Honig und Blattgold bedeckt, in seinen Armen einen toten Hasen haltend. Der Künstler saß regungslos für längere Zeit, erhob sich dann und zeigte seinem Hasen sehr langsam und ausführlich die Exponate, indem er mit der Hasenpfote die Werke berührte. Während der ganzen Aktion konnte man die Galerie nicht betreten und das Geschehen nur durch das Schaufenster verfolgen. Erst ein bis zwei Stunden später wurde die Tür geöffnet. Der Künstler blieb auf seinem erhöhten Schemel während der Eröffnungsfeier sitzen und wirkte mit seiner Goldmaske wie ein Schamane. Wenn man auch nicht die tiefere Bedeutung dieser Aktion verstand, so spürte man doch die starke Anwesenheit des Künstlers im Raum, die nicht ohne Wirkung auf die ausgestellten Arbeiten blieb. Entsprechend war auch die Reaktion der Medien. Beuys wurde mit dieser Ausstellung zum geheimnisvollsten und berühmtesten deutschen Künstler der 60er und 70er Jahre, er wurde gleichsam zum Synonym für die zeitgenössische, letztlich noch unverständliche Kunst wie es vor ihm Picasso lange gewesen war.
Schon zwei Jahre später 1967 bekam Beuys seine erste Museumsausstellung in dem gerade neu eröffneten Museum in Mönchengladbach. Der sehr agile und umtriebige Kunsthändler Franz Dahlem konnte den damals größten Sammler für zeitgenössische Kunst, Karl Ströher aus Darmstadt (Peter Ludwig kam erst später in die Szene), für das Werk von Beuys interessieren. Deshalb wurde bereits am Eröffnungstag der Ausstellung in Mönchengladbach der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß die gesamte Ausstellung von Karl Ströher angekauft worden sei. Diese von Franz Dahlem und Beuys bewußt lancierte Falschmeldung hatte zunächst zur Folge, daß nun viele Sammler in Deutschland auf Beuys aufmerksam wurden. Der gleiche Kunsthändler vermittelte ein Jahr später die bedeutendste Pop-Art Sammlung Amerikas, die Kraushar-Sammlung, mit Werkblöcken von Warhol, Lichtenstein, Rauschenberg, Oldenbourg, Jasper Johns etc an Ströher. Dieser spektakuläre Ankauf wurde noch im gleichen Jahr im Haus der Kunst in München mit zahlreichen Folgestationen in Deutschland und der Schweiz gezeigt, gemeinsam mit 180 Werken von Beuys, die bewußt irreführend bereits als Ströher Sammlung firmierten. Es war der für Joseph Beuys erfolgreichen Versuch von Franz Dahlem und Heiner Friedrich über die Kraushar Sammlung auch seine Werke einer größeren Öffentlichkeit in ganz Deutschland bekannt und auch museumswürdig zu machen. Im Mai 1968 schrieb Eduard Beaucamp in der FAZ unter dem Titel „Das große Werben“ vom Versuch des Münchner Generaldirektors Soehner, die gesamte Ströher Sammlung für die Neue Pinakothek als Dauerleihgabe im Haus der Kunst zu installieren.¹ Beaucamp berichtete in seinem Artikel vom Erwerb der Beuys Ausstellung durch Ströher mit insgesamt 180 Werken, die nun in München der ehemaligen Kraushar-Sammlung gegenüberstanden. Diese Mitteilung war ein Ergebnis der bewußten Irreführung und griff den Tatsachen zwei Jahre voraus. Bis dahin hatte Ströher dem Künstler lediglich à Konto Zahlungen für die Produktion neuerer Arbeiten, insbesondere für die documenta Installation geleistet, aber selber noch keine Arbeiten erworben. Durch die Bereitstellung von DM 200.000,- war es Beuys möglich, die große und eindrucksvolle „Raumplastik“ herzustellen in unmittelbarer Nähe zu der großen Kienholz-Installation „Roxy“ und den anderen amerikanischen Pop Künstlern. Der bisher mehr oder weniger national geführte Diskurs über das Werk von Beuys weitete sich jetzt international aus.
Den ersten Ankauf von Beuys tätigte Ströher 1969 in der Galerie Schmela: die große Kupfer-Filz Installation „Fond III“ für 100.000,- DM. Erst als das Kunstmuseum in Basel 1969/70 den Beuys Block als Teil der Sammlung Ströher ausstellte, wurden auch internationale Händler wie Leo Castelli und Ileana Sonnabend auf sein Werk aufmerksam und machten dem Künstler bzw. seinem Sammler Ströher Kaufangebote. Ströher war tatsächlich bereit, gegen den Willen von Beuys und Dahlem Teile aus dem Beuys-Block zu verkaufen – obwohl er noch gar nicht angekauft worden war -, um seine Zahlungen für die Dokumenta-Arbeiten zurückzubekommen. Um das Auseinanderreißen dieser bedeutenden frühen Werkgruppe zu verhindern, wendete sich Franz Dahlem an Franz Mayer, damals Direktor im Baseler Kunstmuseum, dem er den gesamten Beuys Block für DM 600.000,- anbot. Der Ankauf scheiterte jedoch am angeblichen Platzmangel. Erst zur Eröffnung der Ausstellung im Darmstädter Landesmuseum April 1970 erwarb Ströher den gesamten Beuys Block für DM 800.000,- unter Anrechnung der bis dahin geleisteten Zahlungen.
Mit dieser erfolgreichen Strategie hatte der Künstler einen Markt in Deutschland erworben, nicht jedoch den letztlich alles entscheidenden in den Vereinigten Staaten. Eine Ausstellung mit Zeichnungen von Beuys in den USA sollte erst 1972 stattfinden. Es ist heute schwer einzuschätzen, ob diese Verzögerung aus einem Mangel an konkreten Ausstellungsangeboten oder einer aktiven Verweigerungshaltung entsprang, eine Darstellung wie sie Joseph Beuys propagierte. Sicherlich spielten der Vietnam Krieg und die Politik Nixons auch eine Rolle für seine anti-amerikanische Haltung dieser Jahre. Trotzdem möchte ich betonen, daß Beuys ein langfristig denkender Stratege war, der mit Sicherheit bereits damals über einen gut vorbereiteten Auftritt in den USA zum richtigen Zeitpunkt nachgedacht hatte. Wie sehr Josef Beuys seine Karriere auch strategisch plante, erfuhr ich, als er im Frühjahr 1968 den damals schon bekannten Kölner Sammler Wolfgang Hahn in sein Atelier bat und ihm eine einseitig verbrannte Ateliertür mit Vogelschädel und Hasenfellteilchen von 1956 für dessen Sammlung schenkte. Beuys hatte erfahren, daß die Hahn-Sammlung im Wallraf-Richartz Museum ausgestellt werden sollte. Wolfgang Hahn besaß damals nur eine kleine Arbeit des Künstlers, die keinen Vergleich mit den Werken von Rauschenberg, Oldenbourg, Segal und den Nouveau Realisten standgehalten hätte. In der Tat hatte der spezifisch europäisch-amerikanische Dialog dieser Sammlung eine außerordentlich große Wirkung, auch auf Peter Ludwig.
Auch den gerade erst 1967 gegründeten und überaus erfolgreichen Kunstmarkt nutzte Beuys für seine strategischen Demonstrationen. Obwohl er 1970 in mehreren Kojen mit Arbeiten vertreten war, (René Block hatte eine One-man-show in seiner Koje mit dem berühmten Werk „Das Rudel“, dem VW Bus mit den vielen Schlitten, die auf dem Kunstmarkt an den Sammler Herbig für DM 200.000,- verkauft wurde und die WWS-Gallery aus Antwerpen zeigte den in Filz eingenähten Konzertflügel aus einer Düsseldorfer Fluxusuaktion von 1966, den ich selber für 90.000,- DM erwarb) protestierte er mit anderen Künstlern zusammen gegen den Kunstmarkt und seine Exklusivität. Er forderte, daß der Kunstmarkt für alle Händler und Produzenten geöffnet werden müsse. Gleichzeitig beklagte er seine hohen Preise, für die nur der Handel verantwortlich sei.
Zitat aus einem Interview mit dem Künstler im Kölner Stadtanzeiger: „Ich halte die hohen Kunstmarktpreise für unangemessen. Das meine Arbeiten so teuer sind, dafür kann ich nichts, denn die Preise bestimmt meistens der Handel allein.“
Auch die 1972 aufsehen erregende Adlerausstellung von Marcel Broodthaers in der Düsseldorfer Kunsthalle versuchte Beuys als Plattform einer Selbstdarstellung zu nutzen. Unangemeldet erschien er mit einem Fernsehteam in der Ausstellung, wurde jedoch auf Veranlassung von Broodthaers durch den Hausherrn Jürgen Harten des Hauses verwiesen. Erst gegen Ende des Jahres fand Broodthaers dann die geeignete Form, um auf diese Verletzung seiner künstlerischen Integrität zu reagieren. Die Fiktion eines wiedergefundenen Briefes von Jacques Offenbach an Richard Wagner diente ihm als Maskerade, um seiner Differenz Beuys gegenüber auf elegante Weise Ausdruck zu verleihen. Die Kritik von Broodthaers zielte auf die Verflechtung von Kunst und Politik. Hintergrund war die Einladung an Beuys und Broodthaers u.a. zu einer Gruppenausstellung „Paris-Düsseldorf-Amsterdam“ in das New Yorker Guggenheim Museums, das kurz zuvor einer Hans Haacke Ausstellung aus offensichtlich politischen Gründen eine Absage erteilt hatte. Die Absage hatte einen solchen Skandal in der Kunstwelt ausgelöst, daß eine Teilnahme als Unterstützung dieser Ausstellungspolitik der Zensur angesehen werden mußte. Beuys versuchte auf die prekäre Situation zu reagieren, indem er nur das Programm seiner „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ einbrachte. Broodthaers dagegen zog seinen Beitrag für die New Yorker Station zurück.
Beuys, der in Düsseldorf bereits das Medientalent Yves Klein kennengelernt hatte, bewunderte auch bei Andy Warhol seinen Umgang mit den Medien und wußte, daß eine erste Aktion oder Ausstellung in den USA auch ein Medienereignis werden mußte. So hatte er keine Einwände mehr, als Ronald Feldman in seiner New Yorker Galerie 1972 ohne seine Beteiligung zunächst nur Zeichnungen als Leihgaben von Lucio Amelio aus Neapel ausstellte, war doch bereits das Interesse des Museums of Modern Art an seinen Zeichnungen durch die damalige Kuratorin Bernice Rose bekundet worden. Als Ronald Feldman dann 1973 zum ersten Mal Beuys in Düsseldorf persönlich besuchte und ihn für 1974 zu einer Vortragsreise einlud, überraschte Beuys seine Umgebung durch eine spontane Zusage. Die erste öffentliche Vorlesung fand in New York 1974 vor einem überfüllten Auditorium von über 500 Personen statt mit einer anschließend äußerst lebhaften und kontroversen Diskussion. Am folgenden Tag stellte er sich selber in der Galerie Feldman als „soziale Plastik“ aus und beantwortete einen Tag lang in der Galerie auf- und abgehend die Fragen der Besucher, die überrascht waren zu erfahren, daß sie bereits durch ihre Fragen an der „sozialen Skulptur“ mitwirkten. Der Andrang zu seinen Vorlesungen im Art Instiute in Chicago und am Institute for Art and Technology in Minneapolis war noch größer. Beuys war sicherlich von dem starken Interesse an seinen Vorlesungen beeindruckt und in seinem längst vorher gefaßten Entschluß bestärkt, in New York auch eine Aktion durchzuführen. Da sein Berliner Kunsthändler und Freund René Block in New York für seine deutschen Künstler Jospeh Beuys, Sigmar Polke, Gerhard Richter und den internationalen Fluxus Künstlern Nam June Paik, Georges Maciunas, Dick Higgins u.a., die ebenfalls noch nicht in New York repräsentiert waren, eine Galerie eröffnen wollte, dies aber abhängig machte von einer Zusage Beuys’, die Galerie mit einer Ausstellung oder Aktion zu eröffnen, kam es 1974 zur Gründung der René Block Gallery und zu seiner ersten Aktion in New York. Es ist heute schwer nachzuvollziehen, warum es Beuys damals wichtig erschien, diese Aktion in einer deutschen Galerie durchzuführen, also quasi auf deutschem Boden. Obwohl er sich mit der Vortragsreise bereits längere Zeit in den USA aufgehalten hatte, wollte er bei seiner ersten Aktion amerikanischen Boden nicht öffentlich betreten, und ließ sich bereits in der Ankunftshalle des Kennedy Airports verbinden und auf einer Bahre liegend in einem Krankenwagen in die Galerie René Block transportieren. Die Galerie war in einen Käfig mit Metallgitter umgestaltet, in den man einen Kojoten aus einer Tierfarm in New Jersey gebracht hatte, sowie weitere Requisition wie einen Hirtenstab, Filz, Stroh und mehrere Exemplare des Wall Street Journals, auf die der Kojote auch medienwirksam pinkelte. Das gesamte Ereignis wurde als ein Medienereignis in all seinen Stationen fotografiert und dokumentiert. Es wurde verlautbart, daß der Künstler während der gesamten 4tägigen Aktion den Käfig nicht verlassen werde. Die Wirklichkeit sah etwas anders aus, da Block über der Galerie seine Wohnung hatte. Der ebenso bezeichnende wie werbewirksame Titel dieser Aktion „I like America and America likes me“ stimmte nur bedingt, da nur der New Yorker Untergrund überhaupt von der Aktion Kenntnis nahm und die New York Times die Anwesenheit von Beuys mit keinem Worte erwähnte. Nur die Village Voice brachte ein Photo auf ihrem Cover. Warhol und die bereits bekannteren New Yorker Künstler haben die Aktion überhaupt nicht gesehen. Die New Yorker Kunsthändler sowie die Museumskuratoren mit Ausnahme von Ronald Feldman ignorierten das Ereignis. Beuys ließ sich so wie gekommen auch per Ambulanz wieder zum Flughafen zurückbringen.
Der kommerzielle Erfolg von Beuys in den USA war niederschmetternd und ist es bis heute geblieben. Auch seine großen Installationen „Feuerstätte“ und „Richtkräfte“, die bei Feldmann und bei René Block in New York gezeigt wurden, blieben unverkauft und wurden später vom Baseler Kunstmuseum und von der Nationalgalerie in Berlin angekauft. Außer der Vitrine „Das Samuraischwert ist eine Blutwurst“ im Museum of Modern Art sowie der eher marginalen Arbeit eines Fiat Autos mit dem Aufdruck „FIU“ im Guggenheim Museum befinden sich größere und wichtige Werke nur in der Dia Art Foundation durch die schon erwähnte Vermittlung und Finanzierung des Münchner Kunsthändlers Heiner Friedrich. Im Gegensatz zu Warhol, dessen Werk in Europa hervorragend und umfangreich in öffentlichen Sammlungen vertreten ist, wurden keine wesentlichen Werke von Beuys, insbesondere keine Installationen, in öffentlichen Sammlungen in den USA angekauft. Der Kritiker Harold Rosenberg hatte schon anläßlich seiner ersten Zeichnungsausstellung bei Feldman festgestellt, daß Beuys nicht zeichnen könne. Diese Kritik wirkte besonders verheerend, weil über die allgemein als qualitätvoll anerkannten Zeichnungen der Zugang zu seinem plastischen Werk erleichtert wurde. So dauerte es noch einmal fast vier Jahre bis Tom Messer, damaliger Leiter des Guggenheim Museums, unter dem Eindruck seines Werkes „Tram“ auf der Biennale zu einer großen Retrospektive in seinem Hause entschloß. Der Künstler konnte weitgehend Umfang und Durchführung der Ausstellung mit der von ihm selbst benannten englischen Kuratorin, Caroline Tisdal, bestimmen. Vorbedingung war jedoch, eine Werkausstellung einzurichten, und keine Aktionen zu planen. So kam es dann im November 1979 zu der ersten großen Museumsausstellung von Joseph Beuys in den USA. Beuys war auf der Höhe seines Ruhms und genoß mit großem persönlichem Gefolge seinen Auftritt in New York. So großartig die Ausstellung auch in 24 Lebensstationen inszeniert war und die wichtigsten Hauptwerke versammelt waren, so verhalf sie dem Künstler dennoch nicht zu einer stärkeren Präsenz in privaten oder öffentlichen Sammlungen in den USA. Die Kritik war dem Werk gegenüber im Allgemeinen ratlos und vermißte Aktionen des Künstlers, für die er bereits bekannt geworden war. Einige Kritiker bescheinigten Beuys zwar, der wichtigste europäische Künstler der Nachkriegszeit zu sein, ohne dies jedoch kunsthistorisch zu begründen.
Benjamin Buchloh ging im Artforum Januar 1980 allerdings umfassend auf das Werk ein und verglich das Phänomen Beuys mit Richard Wagner. Buchloh beklagte, daß der Künstler hinter Duchamp zurückfalle und seine Objekte wieder mit Bedeutungen auflade. Er kritisierte weiterhin, daß seine wissenschaftsfeindlichen Utopien regressiv seien und sah in seiner abstrakten Universalität privatistische und subjektivistische Qualitäten. Diese letztlich vernichtende Kritik wurde im Grundsatz auch von Werner Spies geteilt, der die Guggenheim Ausstellung in der FAZ eingehend besprach und ebenfalls bemerkte, daß sich Beuys außerhalb der Geschichte zu stellen versuche und dementsprechend auch im Katalog, Beuys nur mit Beuys zu erklären versucht werde. Eine kritische und historische Würdigung fände nicht statt. Es wurden ebenfalls die restaurativen Züge im Werk kritisiert, in der amerikanischen Presse sogar vom nordischen und völkischen Charakter seiner Arbeiten gesprochen. Die Person und der von ihr geschaffene und geförderte Mythos standen im Vordergrund. Von Anfang an war seine persönliche Aura für die Akzeptanz des Werkes entscheidend, wie ich es in seiner ersten Ausstellung bei Schmela so stark empfunden hatte. Als vor einigen Jahren, die Gefahr bestand, daß der Darmstadt-Block verkauft werden sollte, war die Entrüstung deshalb so groß, weil diese Werkgruppe noch vom Künstler persönlich installiert worden war und die somit verbundene Aura nicht gestört werden durfte. Diese spezifisch Beuyssche Strategie hat ihn zwar zu Lebzeiten zu Erfolg und Ruhm besonders in Deutschland geführt, hat aber bis heute den Erfolg in den Vereinigten Staaten und eine kritische Auseinandersetzung verhindert.
Meine persönliche Überzeugung aus eigener Berufserfahrung, die sich aber auch an diesem Beispiel bestätigt, ist, daß keine noch so durchdachte Vermarktungsstrategie angesichts historischer Dimensionen langfristig Erfolg garantieren kann. Allerdings stellt sich heute angesichts der allgemeinen Beschleunigung des Lebens ohnehin die Frage, für welche Dauer ein Werk konzipiert wird und wo die geeigneten Aufbewahrungsorte sein werden. Aber dies ist bereits ein anderes Thema, über das ich gerne in diesem Hause zu einem anderen Zeitpunkt sprechen möchte.
1
Eduard Beaucamp, Das große Werben, in: FAZ 20.5.1968
2
Zwei der von Hans Haacke für die Ausstellung geplanten Werke sollten im Rahmen seiner Arbeit zu sozialen Systemen die Grundbesitzverhältnisse in Manhattan durch Fotografien der dortigen Häuserfassaden in Verbindung mit erläuternden Texten offenlegen. Die Absage begründete die Museumsleitung mit ihrer Ausstellungspolitik, die ein aktives Engagement für soziale und politische Fragen ausschloß. s. Hans Haacke, Unfinished Business, Ausst.- Kat. The New Museum of Contemporary Art and Massachusetts Institute of Technology, New York 1986, 92ff
3
Stefan Germer, Haacke, Broodthaers, Beuys, in: October 45, 1988, 63-75
4
Benjamin Buchloh, The Twilight of the Idol, in: Artforum, New York, Januar 1980, 35-40; in dt. Übersetzung Die Götzendämmerung, in: Brennpunkt Düsseldorf, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Düsseldorf 1987, 60-77
5
Werner Spies, Von Filz und Fett zum Sonnenstaat?, Joseph Beuys im Guggenheim-Museum in New York, in: FAZ 13.11.1979
6
Robert von Berg, Der Schamane als Künstler. Zur Beuys-Rezeption in der New Yorker Presse, in: Süddeutsche Zeitung 15.11.1979
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